Navigation auf uzh.ch

Suche

Equality, Diversity, Inclusion

Prof. Dr. Ulrike Müller-Böker

Neue Reihe: Spurensuche

In unserer neuen Reihe kommen emeritierte Professorinnen zu Wort, die in den 90er Jahren berufen wurden. Was hat sich im Vergleich zur Vorgängerinnen-Generation geändert? Haben sich die Bedingungen für Frauen verbessert? Wir wollen diesen Fragen ein Stück näherkommen.

von Marita Fuchs

Ulrike Müller-Böker spricht in der Aula der UZH von der Kanzel, vor der Kanzel steht ein Blumenstrauss
UZH, 2019: Graduate Campus Jahresevent in der Aula

«Ich hatte einen coolen Job»

Ulrike Müller-Böker war Professorin für Humangeographie am Geographischen Institut der Universität Zürich. In der Forschung befasste sie sich mit Lebensunterhaltstrategien von Armutsgruppen, Arbeitsmigration, Entwicklungs- und Partizipationsprozessen mit Schwerpunkt Südasien.
mehr über Ulrike Müller-Böker

Geografie-Professorin Ulrike Müller-Böker berichtet im Interview, wie sie Ihre wissenschaftliche Karriere erlebt hat.

Frau Müller-Böker, in der Schweiz wurden Mitte der 90er Jahre gleich drei Geographieprofessorinnen berufen: Rita Schneider-Sliwa in Basel, Doris Wastl-Walter in Bern und Sie im Jahr 1996 in Zürich. Wie haben Sie und Ihre Kolleginnen das aufgenommen?

Wir waren euphorisch. Es fielen kämpferische Worte wie etwa: «Frauen Power! Das wurde auch Zeit!» Wir haben uns aber auch gefragt, ob wir nun Quotenfrauen sind. Aber wir entschieden, dass diese Frage nicht ausschlagegebend war. Wir sind dann mit Elan in die Professuren gestartet.

Wie erklären Sie sich, dass gerade Mitte der 90er Jahre vermehrt Frauen berufen wurden?

Noch Ende der 80er und in den 90er Jahren war ich eine Pionierin, ich war die zweite Frau an der Universität Giessen, die im Fach Geografie promovierte und die erste, die habilitierte. An der UZH fühlte ich mich als Professorin zu Beginn wie ein weiblicher Paradiesvogel in der männlichen Professorenwelt. Ich muss aber sagen, dass ich mit viel Wohlwollen empfangen worden bin.

Warum damals gerade drei Geografie-Professorinnen berufen wurden, hat sicherlich mit dem Zeitgeist zu tun, aber auch mit dem Anwachsen des Faches Geografie. An der UZH war und ist bis heute Geografie ein für die Studierenden und Doktorierenden sehr attraktives Fach. Hinzu kam, dass mein fachlicher Schwerpunkt der geografischen Entwicklungsforschung relativ neu und gefragt in Zürich war.

Ulrike Müller-Böker 1973 im Sudan, weisse, junge Frau zwischen schwarzen Kindern und Männern
Kosti, Sudan 1973: eine Reise, die meine Studienwahl bestimmte

Sie waren die erste Geografie-Professorin an der UZH und haben die Humangeografie breit vertreten, aber den Schwerpunkt damals auf lokales Umwelt- und Naturwissen gelegt. Zudem haben Sie Probleme und Chancen der Entwicklungsländer interessiert. Was hat Sie angetrieben?

Nach dem Abitur im Jahr 1972 habe ich eine abenteuerliche Reise unternommen, und zwar nach Sudan, Uganda, Kenia, Tansania und Äthiopien, zusammen mit meinem damaligen Freund. In Äthiopien gerieten wir mitten in eine schwere Hungersnot. Wir erlebten schreckliche Szenen. Zurück in Europa waren wir erstaunt, dass in den Medien nicht über diese dramatische Hungersnot berichtet wurde. Das wollten wir ändern. Ich begann in Giessen am Geografischen Institut über Äthiopien zu recherchieren und über diese humanitäre Katastrophe zu schreiben. Wir konnten dann immerhin einen Artikel im «Stern» lancieren! Der Wille zu verstehen, was ich gesehen und erlebt hatte, hat mich dann angetrieben, Geografie, Völkerkunde und Soziologie zu studieren.

Ihr späteres Forschungsgebiet war aber nicht Afrika, sondern Asien, speziell Nepal.

Während des Studiums reiste ich nach Indien und Nepal. Die in Giessen sehr gut vertretene vergleichende Hochgebirgsforschung und speziell vor allem der Himalaya interessierten mich sehr. Meine Masterarbeit schrieb ich dann über Thimi im Kathmandu-Tal. Für diese Dorfstudie lebte ich für drei Monate in dem Töpferdorf. Das war eine interessante Erfahrung, denn ich lernte jeden Tag, wie es ist, in einer Kastengesellschaft und auch ohne jeglichen Komfort zu leben. Finanziert wurde mein Aufenthalt durch ein DAAD Stipendium; und ich war eingebunden in das «Nepal Research Centre», eine deutsche Forschungseinrichtung in Nepal.

Mein späterer Doktorvater hat mich dann dazu ermuntert, die Masterarbeit zu einer Dissertation auszubauen. Ich kehrte ins Kathmandu-Tal zurück und forschte in sämtlichen ländlichen Newar-Siedlungen des Tals. Die Arbeit musste ich aufgrund des Promotionsreglements auf deutsch veröffentlichen, aber ein Paper konnte ich immerhin in einem renommierten internationalen Journal veröffentlichen.

Ulrike Müller-Böker in Nepal, eine junge, weisse Frau sitzt neben einem farbigen Mann auf dem Boden, um die beiden herum stehen einheimische Kinder
Gorkha, Nepal 1983: Feldforschung im Hügelland

Das war ein aussergewöhnlicher Erfolg, hat Sie das angespornt?

Ja, ich habe mich sehr darüber gefreut. Aber noch mehr freue ich mich heute, dass dieses Paper aus dem Jahr 1988 im letzten Jahr einige hundertmale heruntergeladen wurde. Heute, nach so vielen Jahren! Vor allem nepalesische Forschende und vermutlich auch Aktivist:innen scheinen sich dafür zu interessieren, wie eine Kastengesellschaft sozial und räumlich früher in den Dörfern des Kathmandu-Tals organisiert war – einer Region, die heute dicht besiedelt und völlig zersiedelt ist.

Ihre Forschungsdokumente sind ebenfalls von grossem Interesse, in einer «Ulrike Müller-Böker Collection» werden nun wertvolle Texte und Fotos zusammengestellt.

Ja, ich bin jetzt dabei, die vielen Fotos, Tondokumente und Daten aus meiner Forschung zusammenzutragen, zu digitalisieren und zu kontextualisieren. Sie werden in Kathmandu in der «Nepal Picture Library» archiviert und online zugänglich gemacht. Ein einmaliges Zeitzeugnis zu verschiedenen Regionen und ethnischen Gruppen Nepals, in und zu denen ich geforscht habe, ein Archiv, auf das Forschende und interessierte Menschen vor allem in Nepal unkompliziert Zugang haben werden!

Als Professorin an der UZH haben Sie sich neben zahlreichen Forschungsprojekten und Ihrem Engagement in der Lehre auch stark für den Nachwuchs eingesetzt. Warum war Ihnen das wichtig?

Der Nachwuchs lag mir immer am Herzen, ich wollte junge Leute fördern und fordern. Da kam es mir sehr entgegen, dass ich ab 2001 eine grosse Forschungsgruppe des «NCCR North South» leitete. So konnten viele spannende Projekte zum Thema Lebensunterhaltsstrategien und Armut im Globalen Süden realisiert werden, in denen Masterstudierende, Doktorierende und PostDocs aus Zürich und aus dem Süden mitwirkten und gefördert wurden.

Mit Freude denke ich an die grossen Exkursionen nach Nepal und Thailand mit den Studierenden zurück! Es war einfach wunderbar, mit den Studierenden in fremde Lebenswelten einzutauchen und ganz unmittelbar Fachwissen zu erwerben. Wir erlebten gemeinsam so manches Abenteuer, zum Beispiel die Begegnung mit einer Bärin im Dschungel, gegen deren Angriff unsere Guides die Gruppe mutig nur mit Stöcken bewaffnet verteidigen mussten.

Darüber hinaus fungierte ich 2016 bis 2020 – übrigens auch nach meiner Emeritierung – als Direktorin des Graduate Campus der UZH. Der Graduate Campus ist eine wichtige Plattform, die über alle Fakultäten hinweg sich für Doktorierende und Postdoktorierende einsetzt und sie vielfältig fördert. Wenn ich Bilanz ziehe, so kann ich sagen, dass der Graduate Campus heute eine fest verankerte wichtige Institution der UZH ist, die vor allem von den jungen Forschenden sehr geschätzt und deren vielfältiges Angebot in Anspruch genommen wird.

Ulrike Müller-Böker bei der Arbeit an der UZH, zwei Sitzende Studierende und eine stehende Ulrike Müller-Böker schauen auf einen Laptopbildschirm und sehen fröhlich aus
UZH, 2009: mit Studierenden im Lesesaal

Es wird immer wieder betont, dass Frauen in der Akademie sich zu wenig in Kommissionen engagierten. Wie war es bei Ihnen?

Ich wirkte in sehr vielen ausseruniversitären und universitären Kommissionen mit, und sprang auch einmal für ein sehr anstrengendes Semester als Studiendekanin ein. Weitere Führungsaufgaben an der Fakultät oder Universität allerdings wollte ich nicht übernehmen, weil dann aus meiner Sicht die tägliche Zusammenarbeit mit jungen Menschen, die Mitwirkung in spannenden internationalen Forschungsprojekten, aber auch meine ausserberuflichen Interessen zu kurz gekommen wären. Wenn ich auf meine Zeit als Professorin zurückblicke, muss ich sagen, dass ich einen absolut coolen Job hatte!

Sie haben sich auch für faire Berufungsverfahren für Frauen an ihrer Fakultät engagiert. Warum war Ihnen das wichtig?

Zusammen mit der Abteilung Gleichstellung (heute EDI, Anm. d. Red.) haben wir die Berufungsverfahren an der MNF unter die Lupe genommen. Denn auch während meiner Zeit an der UZH ist der Professorinnen-Anteil nur zögerlich angestiegen. Wir fragten uns, warum, und führten unter anderem Interviews mit allen Professorinnen der MNF zu ihren Erfahrungen. Ich war erstaunt, wie viel diskriminierende Erfahrungen meine Kolleginnen gemacht hatten.

Heute existieren klare Standards für den Berufungsprozess, begleitet von Gender Bias Awarness Trainings. Die proaktive Suche und Ansprache von Wissenschaftlerinnen im Rahmen von Berufungsverfahren erwies sich als besonders wichtig, um der Unterrepräsentanz von Frauen auf Stufe Professur entgegenzuwirken. Ein positiver Effekt dieses Projekts war sicherlich auch, dass die Women Faculty der MNF dadurch zusammengewachsen ist! Universitäre Frauennetzwerke sind emotional und strategisch wichtig in einem nach wie vor männlich dominierten Umfeld.

Zum Abschluss. Stimmt dieser Satz für Sie: Kein Sieg fühlt sich so gut an, wie eine Niederlage schmerzt?

Ich habe mich nie als besonders ehrgeizig erlebt und Niederlagen daher nicht als besonders schmerzhaft interpretiert. Ich war und bin sehr neugierig und interessengeleitet und weniger auf meine Karriere fokussiert. Ich hätte mir auch andere Berufswege vorstellen können.